Im Land der Kelten

September 2023
Querfeldein soll es gehen. Wild wird es werden - in Wales - wo es mehr Schafe als Einwohner gibt. Doch wer der schmalen Straße bis an ihr Ende folgt entdeckt mit mir Burgen, Kirchen, Berge, Städte und die schönsten Steilklippen Brittaniens Read more
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  • Day 1

    In Englands Steinzeit und zurück

    September 13, 2023 in England ⋅ ☁️ 19 °C

    Ankunft - so schnell hatte ich noch nie mein Gepäck! Doch je schneller ich auf beiden Beinen stehe desto länger dauert es bis es weiter geht. Bis in die Nacht verbringe ich damit meinen Weg zum Überlandbus zu finden. Ich muss mich an den Linksverkehr gewöhnen. Ich hatte das schon mal. In Schottland. Aber da war als Fußgänger nicht mal halb so viel Verkehr zu berücksichtigen. Ich denke es braucht zwei oder drei Tage bis ich mich damit zurechtfinde. Solange wünsche ich mir meinen großen schweren Rucksack wieder her. Er ist ein praktisches Hilfsmittel gegen prüde Autofahrer. Denn einem Packesel verzeiht man schneller wenn der ‘die Regeln nicht kennt’. Ich kann ihn aber nicht her zaubern. Er wird gerade repariert. Und für das was kommt reicht auch ein halber Rucksack.

    Auf Umwegen nach Wales. Ein erster Umweg führt heute nahe Salisbury nach Stonehenge. Denn dessen Geschichte scheint enger mit Wales verwoben als auf den ersten Blick sichtbar. Bereits vor der Morgendämmerung bin ich da, aber ich kann es nicht finden! Wer denkt England sei flach, der hat sich gewaltig geirrt. Erst als die Sonne aufgeht entdecke ich ein paar unscheinbar große Steine etwa 500m entfernt in der grünen Wiese. Im Gras versteckt und von hunderten Schafen bewacht.

    Es dauert nicht lang da mache ich vor Ort die ersten Besucher aus. Im Durchschnitt sind es täglich 9.000 also nichts wie hin bevor die alle da sind. Doch das Tor ist zu und wird von Security bewacht. Mir bleibt der Blick aus 50m Entfernung. Anfassen darf ich die Steine erst ab der regulären Öffnungszeit - in drei Stunden. Die Zeit vertreibe ich mir mit reden. Vor Ort habe ich eine Angestellte getroffen die aus Köln stammt und über den Sommer als zusätzliche freiwillige Kraft den Besucherstrom betreut. Wir reden viel über das was man bei Stonehenge nicht sieht und was das Museum auch nicht widerspiegelt. Da vergeht eine Stunde nach der nächsten wie im Flug. Dass in der Steinzeit auch Holz benutzt wurde macht es der Nachforschung heute so schwierig dass es bis auf den Sonnenwendstein und ein paar Altersdatierungen die bis 4.000 Jahre zurück reichen nichts handfestes gibt zu welchen Ritualen, Begräbnissen oder dem Kalender dieses Monument noch benutzt wurde. Vor gut einhundert Jahren fand sich unweit der Steine das heute so genannte Woodhenge. Dessen Funktion als Kalender und die Nähe zu einer archäologisch ausgegrabenen Siedlung ließ sich trotz des verrotteten Holzes leichter bestimmen als die der Steine. Als die Tore sich offiziell öffnen dauert es keine fünf Minuten bis anstatt der fünf Archäologen etwa 200 Möchtegernfotografen herbei strömen und mein morgendlicher Plausch hat ein jähes Ende.

    Ich suche denn auch zeitnah lieber das Weite und statte noch Salisbury Cathedral und den römischen Bädern in Bath einen Besuch ab. Bei lecker aber teuer!! Cappuchino und Matilda-Kuchen (30% Schokotortenboden, 60% Schokoladencreme und 10% Blockschokolade) sitze ich gegenüber dem Bädervorplatz und lausche einer Passantin wie sie dem Publikum gerade Opern vorträgt. Das ist in England zum Volkssport geworden und habe ich bereits einige Male auch auf Youtube verfolgt dass ambitionierte Straßenmusiker die sonst nicht von der Musik leben aber mit ihr - Piano spielen, Oboe, Gitarre oder was auch immer und dazu meist richtig professionell singen. Nur auf den Frack oder das Kleid geben sie so rein gar nichts.
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  • Day 2

    Cardiff - Drehkreuz und Angelpunkt

    September 14, 2023 in Wales ⋅ ☁️ 19 °C

    Wer weiß denn ohne auf die Karte zu sehen wo dieses Cardiff überhaupt liegt? Diejenigen haben in Geschichte gut aufgepasst. Die Briten sind groß im Geschichten erzählen. Sie darzustellen wird dann außerhalb von Film und Fernsehen schon schwieriger. Ich war vor einigen Jahren in Montreal als ich bei einem Couchsurfer eine BBC Serie mit anschaute die gerade die Geschichte eines riesigen Kohlegrubenunglücks nachstellte. Das spielte auch in Wales - und Cardiff ist die Hauptstadt. Vielen am ehesten noch bekannt als der größte Kohlehafen Britanniens. Aber wer weiß denn schon dass Scot von diesem Hafen aus seine Antarktisexpedition antrat? Das geschäftige Treiben und die Gunst der Kohlebarone gaben hier sehr viel Zuspruch. Und wieder fügt sich ein kleines Puzzle in dem großen Ganzen.

    Heute zeigt sich Cardiff von einer kulturell vielfältigen Musik und Kunstszene. Das Zentrum ist schnell erkundet denn Shoppingmalls und Bürohochhäuser ziehen mich wenig an. Cardiff Castle und die alte Markthalle trumpfen da schon eher zum bummeln und stöbern. Vom Bute Park laufe ich einen Umweg über das neue Regierungsviertel. Das ist schon wieder so neu dass das Parlament mittlerweile weitergezogen ist denn an der Waterfront ist es nunmal noch mehr hippster. Das Rathaus und die Nationalgalerie haben dafür umso mehr Platz für Lager und Verwaltung. Besonders der Saal mit naturnaher Kunstwerke walisischer Maler hat es mir angetan. Die Bilder stammen aus der Gegenwart und bilden zum Teil in Fotoqualität walisische Regionen ab die die Maler als die schönsten von Wales empfinden. Für mich ist das ein Reiseführer der ganz besonderen Art.

    Ich habe noch ein wenig Schwierigkeiten mich an den englischen Lebensstil anzupassen. Cafes schließen allesamt spätestens um 17 Uhr. Der Kuchen fällt damit heute aus. Dafür bleibt mehr Zeit die alte Kohlebörse und das Hafenviertel von Cardiff zu besuchen. Eine riesige Bucht aus Docks und Wasser die durch Kreideklippen vor dem offenen Meer geschützt sind. Ein wenig kommt hier die englische Mentalität zum tragen. Der Riesenradbesitzer zum Beispiel wartet seit Stunden vergebens auf Kundschaft. Er rührt sich dennoch nicht von seinem Stuhl denn es könnte ja in den nächsten 10 Sekunden etwas anderes passieren.
    Ich würde einschlafen dabei, er nicht. Appropo - in der Kunstgalerie sitzt in jedem Raum ein Sicherheitsmann. Während ich auf leisen Sohlen gehe und nicht einmal die Dielen knarren erwische ich tatsächlich einen beim Mittagsschlaf. Ein bisschen was wahres haben die englischen Gangsterfilme also doch wenn die Wachleute immer nichts gesehen haben wollen. Breites Grinsen macht sich bei mir breit und hält noch lange vor. Während andere Städte getrost umfahren werden können ist Cardiff historisch und kulturell auf jeden Fall den Zwischenstopp wert. Besonders da auf den ersten Blick viel Zeit zum Angeln bleibt während in der Stadt scheinbar schon längst Nebensaison herrscht.
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  • Day 3

    Zeitreise im Zeichen des Drachen

    September 15, 2023 in Wales ⋅ ☁️ 22 °C

    Am Abend fahre ich raus aus der Stadt. Das Umland ist voll von Großsteingräbern. Der größte hier verbaute Stein wiegt vierzig Tonnen. Wieder so eine Meisterleistung der man das Genie nicht ansieht. Es ist das Eine diesen Stein zu anzuheben und zu transportieren. Das Andere überhaupt die Idee zu haben ihn zu benutzen.
    Der nächste Morgen ermöglicht mir einen zeitigen Start. Ein kleiner Umweg führt mich an den Strand wobei ich erstmals mit diesen schier undurchdringlichen englischen Hecken zu kämpfen habe. Links und rechts nehmen sie die ohnehin schon enge Straße meterhoch in die Zange! Lavernock ist der südlichste Festlandpunkt von Wales. Die gegenüberliegenden Hügelketten liegen bereits in Cornwall. Eine erfrischende Wanderung unterhalb der Klippen offenbart dreckiges aber extrem warmes Wasser. Grüße vom Golfstrom. Oberhalb der Klippe gibt es zweites Frühstück in mitten riesiger Brombeerhecken. Das ist wie im Schlaraffenland. Denn bis auf zwei Hundegänger hat sich noch niemand hier her verirrt. Dabei ist der Ort durchaus geschichtsträchtig. Auf der wenige Kilometer vorgelagerten Insel Flat Holm steht neben unzähligen Bunkern aus dem zweiten Weltkrieg eine Radiostation. Hier wurden 1897 die ersten Radiowellen der Welt gefunkt und empfangen. Unscheinbar aber beeindruckend, wenn ich an die Anfänge zurück denke. „Are you ready?“

    Die Zeitreise geht heute indessen noch ein Stück weiter. Unweit von Cardiff liegt Caerphilly Castle. Es ist nach Windsor die zweitgrößte Burganlage Britanniens. Dieses Tal trotzte schon immer den Ansagen aus England. Bereits zu Zeiten der Römer gab es hier eine große Legion von über 7.000 Mann. Seit dem Mittelalter trotzt die Burg über das Tal und mit ihr der Walisische Drache. So besaß die Burg einen eigenen Brunnen, eine Mühle und eine Bäckerei um in Zeiten der Belagerung unabhängig zu sein. Es hilft jedoch nicht darüber hinweg dass die Drachenhöhle am Fuß der Burg etwas zu groß geraten ist und seitdem einer der Wehrtürme langsam aber sicher umkippt. Den Rekord des schiefen Turm von Pisa hat er bereits eingestellt. Nach dem zweiten Weltkrieg erlangte das Taff Valley abermals Ruhm durch seinen Käse. Zu Kriegszeiten waren alle Käsesorten außer Cheddar verboten um mehr Milch für die Soldaten bereit zu stellen. Seit 1954 nachdem die Rezepturen gut 15 Jahre nur im Verborgenen praktiziert werden durften begeht der Caerphilly als Käse seinen Siegeszug und schmeckt auch so viel besser als ein Cheddar! Der Drache steigt heute ebenfalls zu einem neuen Höhenflug auf. Als Werbefigur fliegt er über die Castles von Wales und lädt zur Entdeckungsreise ein.

    Zurück in der Gegenwart ist gerade die Schule aus und ich quäle mich durch den Verkehr. Selbst die Kleinstadt wird mir schnell zu groß und ich fahre hinaus nach Bleanavon. Über dem kleinen Ort weht ein viktorianischer Zauber. Schon 43 Jahre lang ist die Kohlezeche hier geschlossen. Zwei Drittel der Bevölkerung wanderten ab. Doch seinen Glanz und seinen Stolz hat es nie verloren. Die UNESCO entschied sich dieses Dorf zum Welterbe zu erklären. Angefangen bei der Kohle bis hin zur Eisenhütte gibt es hier 210 Jahre Industriekultur zu entdecken. Der Weg der Herstellung ebenso wie die Abgründe im Menschenhandel der Großgrundbesitzer wo ein Pferdeleben mehr aufwog als das Leben einer ganzen Arbeiterfamilie. Feiertage gab es nicht und bezahlt wurde mit Token anstatt mit Geld um die Leute an die lokale völlig überteuerte Infrastruktur zu binden und dass sie nicht wegziehen könnten. Die Arbeiter arrangierten sich und nur selten gab es Aufstände. Doch wenn dann richtig. Vielleicht ist das auch ein Grund warum die Waliser heute noch so ein eingeschworenes Volk zueinander sind.
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  • Day 4

    Kohle zum Abgreifen

    September 16, 2023 in Wales ⋅ ☁️ 17 °C

    Mit dem Rucksack unterwegs zu sein hat den riesigen Vorteil dass ich ständig draußen sein kann und dennoch mobil bin wo ich den Tag beginnen möchte. Wenn es denn mal einen Sonnenaufgang gibt dann bin ich definitiv auch zur rechten Zeit am rechten Ort. In Großbritannien ist so etwas bekanntlich seltener als ein Regenbogen.

    Heute bin ich Frühaufsteher und befinde mich mitten in den Ausläufern der Brecon Beacons. Karge Hügelketten mit etwas Heide und viel arktischer Tundra auf gerade einmal 500m Höhe. Und dem ersten Regenbogen dieser Reise. Aber zuvor blicke ich über die weiten Täler unter mir in denen noch der Morgennebel hängt und unten im Tal sicherlich den typisch grauen englischen Alltag prägt. Daraus hervor erheben sich einige Tafelberge. Als die Sonne aufgeht taucht alles in ein goldgelbes Licht. Und sogar hier am Vermessungspunkt sind die Waliser stolz auf ihren roten Drachen. Er ist das Wahrzeichen von Wales weil er über den weißen Drachen der Sachsen gesiegt hat. Ein Funken Geschichte im Spiel der Königshäuser.

    Das war dann auch das Highlight des Tages denn nun setzt Regen ein, der Erste seit fünf Tagen. Ich finde das eine Gute Quote! Aber was mach dann heute wenn doch eigentlich wandern auf der Tagesordnung stand? Zurück nach Blaenavon und ab unter Tage. In den Kohlenflözen hundert Merer unter Tage ist es zwar auch noch nass, aber nicht mehr von oben… Meeressediment und dichter Wald haben im laufe der Zeit ein dickes Kohlenflöz mit bester Kokskohle gebildet die ab 1812 angezapft wurde um den Brennstoffbedarf der Schmelzöfen in der Eisenhütte zu decken. Später war sie von besonderem Interesse da diese Kokskohle besonders Raucharm brannte. Ein Vorteil im Krieg wenn die Schiffsverbände erst viel später am Horizont erkannt wurden. 1980 machte die Mine für immer dicht bis die UNESCO daher kam und ein Besucherbergwerk entstand.
    Ich war schon viel unter Tage. Jedoch noch nie in einem Kohlebergwerk. Zu Hause wird die Kohle im Tagebau gewonnen. Erst einmal müssen wir uns völlig blank machen. Alles muss abgegeben werden was aus Metall ist. Selbst batterienetriebene Autoschlüssel, Handies und Kameras sowieso. Die Engländer übertreiben gern ein bisschen bei der Sicherheit. Hier ist es wegen dem Methan das in der Kohle natürlicherweise gespeichert ist aber wohl angebracht. Im Förderkorb geht es nach unten. Das Bergwerk ist gut ausgebaut und nicht mit den engen Erzgängen in meiner Heimat zu vergleichen. Anders als heute wurde zu Beginn des Bergbaus mit Kerzenlicht gearbeitet. Bei Kohle ist das heute gleich in doppelter Hinsicht wenig zu empfehlen. Entsprechend gab es in der Geschichte sehr viele Grubenunglücke.
    Eine Besonderheit der englischen Kohlengruben liegt in dem reichlichen Einsatz von Arbeitspferden unter Tage. Dem Grubenbesitzer waren sie mehr wert als das Leben seiner Arbeiter. In den flachen Kohlenflözen war ihr Einsatz bis zuletzt leichter als der von großen Maschinen. Mit den ersten Arbeiteraufständen im 19. Jahrhundert wurden erste Sozialleistungen eingeführt wie zum Beispiel 14 Urlaubstage im Jahr. Das galt dann automatisch auch für die Pferde und eines nach dem anderen wurde mit dem Grubenkorb nach oben geholt und durfte sich 14 Tage auf der grünen Wiese satt fressen. Ich glaube jeder kann sich vorstellen wie viele Pferde im Anschluss daran nur unter schwersten Bedingungen wieder einzufangen waren um die nächsten 50 Wochen ohne Tageslicht in der Grube zu stehen.

    Die Geschichte der Kohle ist die Geschichte Englands. Der Zusammenhalt der Kumpel, die Männerclubs, das Feierabendbier und nicht zuletzt das karge wenig imposante Leben ohne viel Besitz in den eigenen vier Waenden haben in den Kohlerevieren ihren Ursprung. Letzteres, die Unterdrückung, haben vielleicht auch schon die Könige und Burgherren zuvor perfektioniert.

    Apropos Könige: Großbrittanien hatte in den letzten siebzig Jahren Adelsherrschaft nicht nur eine Queen. Hier in Wales gab es auch einen König! Samt selbst ernanntem Königreich. Die Pässe werden noch bis heute ausgegeben, es gibt eigenes Geld und das alles auf eine Ortschaft mit 1600 Einwohnern beschränkt. Willkomen in Hay-on-Wye dem Land der Bücher! England trumpft ja eigentlich an jeder Ecke mit derart Kuriositäten auf. Natuerlich zahlen die Einwohner ihre Steuern fleißig an den Palast in London. Aus einem Werbegag der 80er Jahre wurde bis heute aber eine lebendige Bewegung. Bei einem Spaziergang durch Hay-on-Wye finde ich mehr Bücherläden als Bistros und Cafes zusammen. Meter um Meter reihen sich Bücherrücken aneinander und ziehen Heerscharen von Bücherwürmern an. Verstaubte, zerlesene, kostbare und weniger kostbare Lektüre wird sogar im Freien unter Wellblechdächern angeboten weil der Platz in den Ladenstraßen gar nicht mehr ausreicht. Es gibt alles was man auf Papier drucken kann sogar ganze Läden die nur historische Karten im Großformat anbieten. Aber auch die kleinen Spilunken wo man schnell einmal über noch nicht einsortierte Bücherstapel stolpert. Am 1. April 1977 wurde Hay-on-Wye zum >unabhängigen Königreich< erklärt, was viel eher als Aprilscherz gemeint war. 2004 erhielt der Bücherfreund und ‚König‘ Richard Booth für seine Verdienste um den wirtschaftlichen Aufstieg von Hay-on-Way als Bücherstadt tatsächlich den Adelstitel MBE (Member of the Most Excellent Order of the British Empire).
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  • Day 5

    Unter dem Meer

    September 17, 2023 in Wales ⋅ 🌧 18 °C

    Es regnet. Den ganzen Tag soll immer wieder ein Regenschauer durchziehen oder es nieselt. Ich überlege am Vorabend wie und wo ich das am erfolgreichsten abwettern kann und entscheide mich am Abend das trübe Hochland der Brecon Beacons durch den Nationalpark gen Süden zu verlassen. Vorbei an einigen Megalithen und Menhiren aus der Vorzeit, über alte Römerstraßen und mit Zwischenhalt an Orten an denen römische sowie frühchristliche Geschichte sich verknüpfen. Friedhöfe. Zwischen vielen tausend Jahre alten Eichen stehen oft verwittert noch Steinplatten oder Steinkreuze. Doch was muss passieren damit jemand einer Steinplatte aus dem fünften Jahrhundert etwa zehn Generationen später ein eigentlich viel älteres vorchristliches Steinkreuz aufsetzt? So etwas kurioses gibt es wieder nur in Britannien. Frei nach dem Motto ‚wenn du die Lebenden suchst, schau mal auf dem Friedhof nach‘ treffe ich auf einen Herren vollgepackt mit Taschen und Einkaufstaschen und mit ihm auch den einzigen im ganzen Dorf. Er findet gut dass ich mich für die Geschichte von Wales abseits der Touristenpfade interessiere und gibt mir gleich drei Anlaufstellen wo ich mich erkundigen könne was es mit diesen rätselhaften Grabsteinen auf sich hat. Allein sie liegen in der Richtung wo ich her komme und heute Abend arbeitet dort sowieso keiner mehr. Er sieht bald aus als suchte er einen Schlafplatz. Jedoch schafft er es den Friedhof ebenso lebendig wieder zu verlassen und steht bald an einem Bushäuschen an dem schon lang kein Bus mehr zu halten scheint.

    Es regnet immer noch. Doch an den Küsten von ‚the gower‘ weht ein warmer Wind und bläst den Nieselregen weiter ins Landesinnere. Mein Plan geht auf! Am Morgen beginnt gerade das Spiel der Gezeiten und für mich ein ungeahnter Wettlauf gegen die Zeit. Doch anfangs merke ich davon nichts. Ein Spaziergang zur ‚three cliffs bay‘ offenbart herrliche Aussichten auf das Meer, die Bucht, den immer größer werdenden Sandstrand und die Erkenntnis das selbst jetzt am frühen Morgen eine Hand voll Waliser nicht etwa mit Hund zum Strand spazieren kommt sondern zum Baden in den tieferen Teil des Kanals steigt und ein wenig schwimmen möchte. Von Weitem höre ich bloß das die Hälfte der Gruppe das heute zum ersten und auch zum letzten Mal macht. Oberhalb der steilen Klippen weht ein kräftiger Wind über die immergrünen Schafweiden. Was die Tiere jedoch oft hinterlassen ist ein fast perfekter Rasen und jede Menge Tretminen.

    Etwa zwei Stunden später gelange ich an den äußersten Zipfel von ‚the gower‘. In der Nähe von Rhossili erhebt sich bei Flut aus dem Wasser ein majestätischer Drachenschwanz den man bei tiefer Ebbe begehen kann. Nachdem ich nun von oben schon nass wurde kommt es auf das von unten nun auch nicht mehr an. Durch die einsetzende Ebbe öffnet sich eine Landzunge, die ich übermütig wie ich bin als groß genug einschätzen würde. Doch die Küstenwache gibt den Wanderweg erst gegen Mittag frei wenn das meiste Wasser abgelaufen und die Muschelbänke nicht mehr rutschig sind.

    Zwischen einigen Felsen springe ich von der Küstenlinie hinab und suche mir einen Weg durch das Labyrinth an scharfkantigen Felsen, stehengebliebenen Wasserpfützen, rutschigen Algen und nicht zuletzt auch Miesmuschelbänken. Vom Rand sieht das alles so leicht aus. Doch durch die Sohlen meiner Halbschuhe merke ich jede Einzelne. Und erst jetzt wenn ich zwischendrin stehe wird mir bewusst wie weit ich bei Flut eigentlich schon unter dem Meer stünde. Bis die Flut wieder einsetzt ist ja noch Zeit, denke ich. Und der eine Kilometer Landzunge bis nach Worms Head, den bin ich im Nu auch wieder zurück gelaufen. Doch nur allzu gern lasse ich die Zeit außer Acht denn es gibt so viel Interessantes zu entdecken auf dem Meeresgrund! Nach etwa einer Stunde bin ich auf der Insel angelangt und mich begrüßen zwei Seelöwen die sich auf einem Felsen ausruhen. Vom Festland sah das alles viel kleiner aus. Vom Ende der ersten Insel erstreckt sich eine neue Landzunge zu einer zweiten und dahinter einer dritten Insel. Vereinzelt sind dort hinten ein paar Menschen unterwegs. Also auf und hinterher. Der Wind bläst kräftig und führt anstatt durchs Wasser steil hinauf über ein Felsentor. Nunja, wenn man durch den Wind darauf abrutscht fällt man wenigstens ins Wasser. Und neben an sitzen erneut ein paar Seelöwen. Die hätten dann was zu Lachen. Doch es geht alles gut. Bald sitze ich windgeschützt hinter einem Fels am letzten Ende von worms head.
    Ich genieße die Aussicht und erhole mich von den Anstrengungen. Der erste war ich hier draußen gewiss nicht. Darauf deuten einige bemalte Steine aus Corona-Zeiten. Speziell heute habe ich hier hinten jedoch auch schon lange keinen mehr gesehen. So richtig bewusst wird mir der Ernst der Lage jedoch erst als ich mich umdrehe und aus meinem Windschatten hervor komme. Der Wind hat gedreht. Die Wolken sind viel schwärzer als draußen auf dem Meer. Nicht etwa die einsetzende Flut wird mir zum Verhängnis sondern der scheinbar noch anstrengendere Weg gegen den Wind zurück. Natürlich finde ich auch noch das ein oder andere spannende Tier oder bunte Algen auf dem Meeresgrund. Erst zwei Stunden später als veranschlagt bin ich wieder zurück bei der Küstenwache. Derweil tobt sich das schlechte Wetter einmal so richtig schön aus so dass ich auch ohne Taufe bis auf die Knochen nass bin.
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  • Day 6

    Willkommen bei den Tudors

    September 18, 2023 in Wales ⋅ 🌬 16 °C

    Das Land ist voll von Dichtern und Schreibern. Der wohl berühmteste war Dylan Thomas - jedoch habe ich noch nie von ihm gehört. Aber immerhin hat sich ihm zu Ehren ein Gewisser Robert Allen Zimmermann den Künstlernamen Bob Dylan gegeben. Seine Geburtsstadt Swansea war nun nicht der Renner, und sein letzter Wirkort Laugharne? Ein Ort der kurzen Wege zwischen dem Meer, der Dichterstube in einem Fahrradschuppen und dem örtlichen Pub. Thomas war wie so viele Schreiber dem Alkohol verfallen und zum Ende hoch verschuldet trotz dass er am Stammtisch die allerbesten Inspirationen für seine Werke erhielt und trotz dass er vor allem in den USA bis heute hoch verehrt wird. Gut dass ich das hier für uns alle aus Spaß und Freude schreibe und nicht zum Geld verdienen ;)

    Der Platzregen verhagelt mir die weitere Erkundung. Das Gute jedoch, wenn es hier regnet scheint gleich nebenan die Sonne. In Pembrokeshire liegt eine der schönsten Steilküsten Britanniens. Der grüne Golfrasen schmiegt sich bis an die Klippen und wird von Sturm zu Sturm vom Meer verschluckt. Wo die Küstenerosion knabbert nisten in den Höhlen seltene Seevögel wie Alpenkrähen und Dreizehenmöven. Die Sonne malt ihre Farben dabei über den Regenbogen. Die ganze Landschaft kann getrost als filmreife Kulisse für das Fernsehen herhalten. Bestimmt sind heute auch etliche Smartphonekameras im Einsatz. Zwischendrin sogar ein paar professionelle. Denn gleich hinter der Küste erstrecken sich die künstlich angelegten Bosherston Lakes landeinwärts. Es scheint als wären sie schon ewig mit der Landschaft verwoben und sind doch keine 150 Jahre alt. Ich treffe auf einen Naturfotograf. Sein aufmerksames Auge beobachtet bereits seit längerem einen Fischotter als ich dazu stoße. Der Otter taucht planscht und spielt indes ungestört. Die senigsten Spaziergänger bekommen davon wieder etwas mit. Hier ist die Welt in Ordnung.

    Die Grafschaft von Pembroke ist nach ihrem wichtigsten Schloss benannt. Die Tudors hatten hier ihren Stammsitz als eines der einflussreichsten Geschlechter in der Geschichte Englands. Leider bietet die Stadt ringsum von diesem hohen Stand nur sehr wenig. Aber warum braucht es auch größeren Prunk als diese herrliche Natur ringsum? Bis zu einem großen Maß stehen die englischen Gärtner der chinesischen Landschaftsgestaltung in nichts nach. Stets fließt die Energie und die Harmonie steht noch im Mittelpunkt. Das zeigt sich heute besonders zu meiner zweiten Küstenwanderung rings um St David. Die kleinste Stadt, oder besser das größte Dorf mit Stadtrecht in Großbritannien.
    Dabei war das Dorf nie größer. Es hatte ob seiner Lage nur immer schon Gönner für eine Kathedrale und damit Stadtrecht. Während einem Sturm sei der heilige David an der Küste geboren. Daran erinnert heute deine schöne Kapelle auf der Steilklippe. Und jeder der vor der Küste durch die gefährlichen Gezeitenströme in Not gerät hat mit der hier ansässigen Küstenwache einen Schutzengel mehr vor Ort.

    Zum Ausklang des Tages geht es in den Pub. Das Bier hat Geschmack, aber es macht auch schnell müde. Der Pub ist derweil immer eine gute Adresse - zum Schreiben, zum Dart spielen, für das Dorfgespräch und nicht zu letzt als Zufluchtsort bei schlechtem Wetter. Draußen zieht ein Sturm auf!
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  • Day 7

    Die blauen Steine

    September 19, 2023 in Wales ⋅ 🌬 18 °C

    Regen prasselt auf das Dach und weckt mich. Es ist gerade einmal halb fünf. Die erste Woche war zu schön um wahr zu sein. Jetzt hat mich das englische Wetter endgültig heimgesucht. Von Südwest kam über Nacht ein Sturm auf und faucht durch alle Ritzen und Bäume. Das ist die einzige Richtung zum offenen Atlantik. Überall sonst im Westen und Norden liegt dann Irland vorgelagert. Jedoch hier in Pembroke erwischt es mich mit voller Härte. Der Verkehrsbericht im Radio verkündet dass sogar die Autofähren für heute ihren Betrieb einstellen. Der Wind soll über den Tag noch anschwellen.

    Das Ale von gestern war sein Geld doch nicht wert. Aber es gibt Dinge die weiß ich erst dass man sie lassen sollte wenn ich mitten drin stecke und es schon zu spät ist wie es so schön heißt. Der Lehre nicht genug steuere ich als Erstes Garn Fawr an. Der Regen prasselt wagerecht in mein Gesicht und beißt auf der Haut wie das sonst nur Eiskristalle vermögen. Die See sieht jetzt nicht mehr ruhig, aber auch nicht sooo bedrohlich aus. Vielleicht bringt das die Distanz auf 200m Höhe mit sich. Der Leuchtturm nebenan versinkt jedenfalls bald im Regendunst und hat heute alle Hände voll zu tun, auch tagsüber. Und ich kann einmal erfahren wie es ist wenn man mit schlechtem Schuhwerk nur mal spazieren gehen will während der Wind mich regelrecht von den Beinen holt.

    An solchen Tagen gibt es zwei kritische Punkte. Den wenn ich schon in der ersten Stunde baden gehe und weiß dass es ziemlich schwer wird den Rest des Tages trocken zu überstehen. Und als Zweites, was kann man an verregneten Tagen in Wales eigentlich noch alles unternehmen außer Castles anschauen oder einem Museum gehen?

    Meine Recherche bringt mich nach Gors Fawr. Ich bin jetzt ohnehin schon nass, dann kann ich auch weiter draußen bleiben. Hauptsache warm! Oder zumindest raus aus dem eisigen Wind entlang der Küstenlinie. Und es ist ja erst Mitte September. Also noch recht annehmlich. Ein kurzer Weg führt zu einem Steinkreis. Davon gibt es hier unzählige. Doch irgendwie wollen vier Steine nicht in das restliche Muster passen. Bestimmt stand irgendwo in der Nähe noch ein Megalith und gab dem ganzen eine Bedeutung. So fehlt sie auf den ersten Blick und hätte ich mich nicht belesen auch auf den zweiten darüber hinaus. Ich stehe in mitten einem weitläufigen Tal. Die umliegenden Hügel der Preseli Mountains schirmen den Wind etwas ab und die Zeit brachte vor tausenden Jahren blauen Dolorit zu Tage. Das ist jener Stein den die Kelten von genau hier bis hin nach Stonehenge verbrachten. 217km nach Osten! Und in dem Moment ist der Landweg einleuchtender als über die See denn keiner der Orte, weder Stonehenge noch der Steinbruch liegen in der Nähe schiffbarer Flüsse. Diese Leistung bei Wind und Wetter ist für mich genau so viel wert wie das Errichten der Steine selbst.

    Solche Schwerstarbeit soll ja am leichtesten mit etwas Musik von der Hand gehen. Aber wehe einer singt schief! Nun wissen wir derart nichts aus der Steinzeit. Wir wissen heute aber dass in der nächstgelegenen Stadt Cardigan bereits seit dem 12Jh ein Barden- und Sängerwettstreit stattfindet. Ursprünglich zur Versöhnung benachbarter Herrenhäuser. Kultur hat auch damals bereits Berge versetzt und Brücken gebaut. Dann kam das finstere Mittelalter auch über England. Bereits im 18. Jahrhundert wurde der Wettstreit wieder aufgelebt und seither alljährlich ausgetragen. Der Gewinner erhält seit 800 Jahren, kurios wie England nun einmal ist, einen Stuhl.
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  • Day 8

    Der Zauber vom grünen Tal

    September 20, 2023 in Wales

    Erneut starte ich in einen verregneten Morgen. Mittlerweile gibt es eine eingespielte Routine zwischen Katzenwäsche, Frühstück zubereiten und Nachtlager räumen wann immer der Regen kurz aufhört. Die Pfützen auf den Straßen haben sich zu einem einzigen See zusammen geschlossen. Englische Straßen habe stets die Eigenschaft dass sie selbst der Kanal sind und nicht ablaufen. Nunja. Damit ist eigentlich schon vorbestimmt dass ich bereits bei der ersten Aktion des Tages wieder nasse Füße bekomme. Aber was tue ich nicht alles wenn ich neugierig bin und der ein oder andere Ort sowieso auf der Route liegt. Der Weg führt über einen sehr selten benutzten Feldweg zu einem Shell house. Wahrscheinlich haben die Gutsbesitzer von früher viele tausend Muscheln geschliffen und das Innere ihres Gartenhauses an allen Wänden mit riesigen Intarsien geschmückt. Leider hat es zu und ich kann es durch die dreckigen Fenster nur erahnen. Trotzdem ist es ein schönes und vor allem unerwartetes Kleinod inmitten der Felder am river Teifi östlich von Cardigan.

    Entlang dem Fluss zieht sich ein grünes Band einst mit Wasserkraft betriebener Wollmuehlen. Neben der Käseherstellung sind sie das walisische Rückgrat. Bis heute. Die Schafwolle wird zu Tuch oder Flanell verarbeitet und immer noch in alle Welt verkauft. Der Käse nicht. Den gibt es nur auf einer echten walisischen Farm. Zugegeben begrüßen mich nach dem Regen vom Morgen nicht die Schafe sondern eine ganze Herde neugieriger Kühe auf der Straße. Während es draußen einmal mehr schüttet informiere ich mich von der Milch bis zum Käse. Besonders stolz ist man auf der Farm nicht nur auf die unzähligen Medaillen sondern dass man der Queen bisher immer zu einem Besuch auf Caws Cenarth einen Präsentkorb überreichen durfte. Die Dankschreiben des Buckingham Palace zieren eine ganze Wand. Dagegen erscheinen die Einblicke in die gläserne Käserei mit der Arbeit der Käsemeister fast als ein langweiliges Tagesgeschäft.

    Der Tag entwickelt sich zu einem Museumstag. Wenn ich es am aller wenigsten erwarte trifft mich der Zufall einmal mehr mit voller Härte. Die Welt ist klein, das wusste ich ja bereits vorher. Dass ich aber gerade hier im grünen Tal, also einer der am wenigsten touristischen Regionen von Wales ‚Keechy’ aus der Antarktis wieder treffe hatte ich nicht erwartet! Sie war auf unserem Expeditionsschiff eine der Expeditionsleiter und beschäftigt sich als Doktorandin mit arktischen Ökosystemen von Grönland bis in die Antarktis. Eigentlich stammt sie aus Holland, lebt und arbeitet jedoch in Wales wenn sie nicht gerade auf Reisen ist und erkundet gefühlt jedes Wochenende einen anderen Nationalpark in Großbritannien. Was für eine Überraschung! Prompt fragt sie mich: „Was tust du denn hier?“ - ‚Wie bitte? Naja - es regnet draußen, ich will mich aufwärmen, also bin ich ins Museum gegangen.‘ - „Nein, was tust du genau hier!? Wales hat so viel mehr populäre Orte zu bieten als ein Museum über Schafwolle. Erst treffen wir uns an dem einen extremen Ende der Welt und nun am anderen.“ Keechy ist genau so ungläubig wie ich. Die Freude ist indessen groß. Jetzt versuch aber mal einer dass was zwischen den vier Monaten von der Antarktis bis nach Lima alles in Lateinamerika geschah in eine halbe Stunde zu packen!

    Nach dem Treffen fühle komme ich den ganzen Tag nicht wieder aus dem Grinsen heraus. Die Welt ist klein und voller Überraschungen! Zu meinem nächsten Ort wähle ich aus dem Bauch heraus nicht die direkte Route sondern will so fahren dass die Abendsonne mir von hinten eine Bergkulisse vor mir anleuchtet. Jetzt wo die Sonne sich immer mehr zeigt finde ich das nen tollen Plan. Bei einem Zwischenstopp in (Marys garden ?..?) zerteilen die Sonnenstrahlen den Dunstschleier der sich gerade über den Wald legen will. Überall glitzert der Tau vom Regen noch an den Ästen und Farnen. Ich kann mein Glück immer noch kaum fassen. Wer mich heute sieht der könnte meinen dass ich verzaubert sei. Leicht beschwingt und froehlich, mir steht immer noch das Laecheln von unserem Treffen auf dem Gesicht, geht es in die Cumbrian Mountains immer weiter den Berg hinauf. Und zwar, ob ich davon zuvor bereits gehört hatte aber natuerlich vor lauter Eindrücken bisher leider völlig verdrängt, mitten in das Dark Sky Reserve von Wales.

    Wie koennte das besser passen, wo heute Nacht die Sterne auf mich schauen und bei so vielen Eindrücken über mich wachen während morgen die Tag- und Nachtgleiche ansteht.
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  • Day 9

    Hochwasser unterm Sternenzelt

    September 21, 2023 in Wales ⋅ ☁️ 13 °C

    Nun sitze ich also hier auf einer Passhöhe und beobachte den Sternenhimmel. Während es den ganzen Tag wie aus Gießkannen regnete hat jetzt der Himmel aufgeklart. Es ist kalt im Hochland. Die Wiesen sind nass, die Bäche sind angeschwollen und immer wieder kreuzen Schafe den Weg weil es da trockener ist als im „Sumpf“. Bis zur nächsten großen Ortschaft sind es vielleicht nur 20km. In das breite Elan Valley kommt jedoch kein Licht über die Bergketten herüber weshalb die Landschaft hier zum Dark Sky reserve erklärt wurde.

    Warum ist das wichtig? Ein dunkler Nachthimmel ist nicht nur für den Sternenhimmel relevant, sondern auch für unsere Tier und Pflanzenwelt. Nur wenn es für bestimmte Pflanzen dunkel genug ist produzieren sie Nektar und können von Insekten bestäubt werden. Nachtjäger wie Eulen können mit unseren Strassenlaternen ebenso wenig anfangen.

    Am nächsten Morgen hat es sich bereits wieder zugezogen. Dafür höre ich unweit ein dumpfes rauschen. Dem will ich nachgehen und verlasse mein Nachtlager recht früh in der Morgendämmerung. Kurz darauf wird die Straße noch enger. Hier passt gerade mal ein Auto durch wenn es die Spiegel einklappt. Links und rechts ragen hohe Steinmauern auf. Ein Turm, dahinter ein See. Und während der Tag immer weiter anbricht ahne ich auch wo das rauschen herkommt. Ich muss mich nur überwinden auf der anderen Seite über die Mauer zu schauen. Dort stürzen sich tausende Liter in der Sekunde einen Staudamm hinunter. Und ich obendrauf. Der Regen hat im Tal für reichlich Hochwasser gesorgt. Die Stauseen wurden bereits zu Zeiten Queen Victorias angelegt. Die Ingenieure gaben sich alle Mühe diese Meisterleistung so schön wie irgend möglich in die Natur einfließen zu lassen. Während hier Trinkwasser für das englische Birmingham gewonnen wird. Erzeugen die drei Staudämme heute auch Strom. Die Schafe ringsum sind sozusagen für die Landschaftspflege zuständig.

    Auf dem Weg aus dem Elan Valley heraus fahre ich durch Llandrindod Wells. Zu den Tagen Queen Victorias war es einer der exklusivsten Kurorte. Für die feine Gesellschaft mit Ballhaus, hübschen Backsteinvillen und mit viel Platz für den schon damals leidenschaftlich betriebenen Volkssport. Das Fahrradfahren. Ob Ein, Zwei, oder Dreisitzer, Dreirad, Damenrad oder Triple Tandem. Hier ist alles gefahren was sich damals konstruieren lies. Der Hausmeister lässt mich nur durchs Schaufenster blicken. Denn eigentlich hat die Ausstellung im nationalen Radfahrmuseum in der Nebensaison geschlossen. Schade und zugleich ein Grund hierher wieder zu kommen.

    Auf dem Weg quer durch Wales geht es weiter gen Norden. Die Zahl an Fachwerkhäusern nimmt merklich zu während die Wegweiser immer spartanischer werden und immer stärker zu verwittern scheinen. Ich fahre dem Sonnenuntergang entgegen und denke bei mir „Das Spektakel kann ich jetzt nicht einfach so hinnehmen als wäre es ein Sonnenuntergang wie jeder andere. Nach so vielen Passstraßen will ich heute wenigstens noch einen Gipfel besteigen!“ Der Bryn-Y-Fan ist kein besonders schwerer Gipfel. Also laufe ich beschwingt los und mit jedem Meter an Höhe blicke ich weiter über das lang gezogene Tal. Mit jedem Schaf das ich am Wegesrand hinter mir lasse taucht die Abendsonne die umliegenden Berge in ein stärker und stärker goldenes Licht. Ich genieße die Ruhe und die gewisse Verbundenheit mit dem Berg als ich oben am Vermessungsstein stehe. Wer weiß welche Farben morgen den Tag prägen werden.
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  • Day 10

    Alice Liddell und der Hutmacher

    September 22, 2023 in Wales

    Ob ihr es glaubt oder nicht, auch die Farbe Grau kann beeindruckend sein. Ein Großfeuer in Hamburg zerstörte 1842 zahlreiche Dächer. Das war jene Zeit als die Schieferproduktion in Nordwales bereits in vollen Zügen lief und jetzt so richtig lukrativ wurde. Man hatte mich bereits vorgewarnt. Wenn in Llechwedd die Sonne scheint wirst du vom Schiefer fast geblendet, in so vielen Farben kann er leuchten. Stattdessen geht er heute grau in grau in den Himmel über. Der Qualitätsschiefer wird unter Tage gewonnen. Selbst in den besonders guten Gesteinsadern fallen jedoch auf ein Kilo Schieferplatten 9 Kilo Abraum an. Die Halden türmen sich daher bis an die Vorgärten der Arbeiterhäuser. Und sie wachsen heute noch. Die Stadt aus Schiefer und die umliegenden Halden sind auch bei Regen einen Spaziergang wert. Zumal auch die Geschichte hier herein spielt denn im Mittelalter waren die Pässe in der Umgebung wichtige Zollschranken zwischen den Herrschaftsbereichen. Es wimmelt als auch nur so an Burgruinen. Auf den nicht mehr aktiven Teilen der Mine tummeln sich Zip-liner, Downhill Mountainbiker und sogar Trampolinspringer. Der Begriff Schotter zu Gold zu machen wird heute immer weiter entwickelt. Dabei braucht die Welt auch heute noch Unmengen des guten Schiefer. An Schicht im Schacht wie bei der Kohle ist hier noch lange nicht zu denken. Doch die Berge geben ihre Gipfel heute nicht mehr preis.

    Dann geht es eben weiter an die Küste. Warum braucht es schon Berge?
    Klimaschützer weisen ja stetig darauf hin welche Folgen ein Versiegen des Golfstromes haben kann. Die Walisen sind scheinbar einen Schritt voraus. Auf Meereshöhe haben sie ein Ski Zentrum gebaut. Besser man hat vorgesorgt. Dann müsste man nicht mehr in die Berge wenn Schnee liegt… Die Klippen rings um Llandudno sind steil genug und vielleicht liegt in der Strandpromenade tatsächlich ab und an Schnee. Um die Unter- und die Oberstadt zu verbinden gibt es sogar eine Straßenseilbahn. Von oben flaniere ich über gepflegten Golfrasen bis an die Küstenklippe. Unten tummeln sich die Leute auf der Seebrücke. Auch rundherum, der Rummel, die Puppenspielerbühne, die Hausfassaden - alles hier steht für den Inbegriff eines viktorianischen Seebades. Ohne Vorahnung stoße ich auf ein schönes Detail. Alice war hier! Das lebende Vorbild von ‚Alice im Wunderland‘ verbrachte ab 1861 regelmäßig ihre Sommerferien in dem Seebad. Wer will begibt sich hier auf eine wundersame Reise durch das Kartenhaus und findet jede Menge geschnitzte Figuren aus dem Roman am Straßenrand. Das macht neugierig auf mehr Kuriositäten.

    Auch wenn ich der Burgen und mittelalterlichen Städte langsam überdrüssig werde geht es gleich nebenan nach Cowny. Auf der Zugstrecke von London nach Holyhead bewiesen die viktorianischen Konstrukteure reichlich Eleganz und Sinn für historische Bausubstanz. Als wäre es ein Anbau vom Castle fungiert die anliegende Eisenbahnbrücke als echte Zugbrücke um den Kanal und den Yachthafen zu verbinden. Ein bisschen weiter entlang der Zugstrecke folgt der nächste Zungenbrecher. Wer steigt schon gerne in dem Ort „Die heilige Marie am Teich der weißen Hasel neben der Stromschnelle und der Kirche St Tysilio bei der roten Höhle“ aus. Na wenn dieser Name nicht ganz tief aus dem Kaninchenbau stammt weiß ich auch nicht. Heute ist der Ort Anlaufpunkt für Reisebusse aus ganz Europa. Verbirgt sich doch hinter dem Ortsnamen, kurz „Llanfair P.G.“ der wohl längste Ortsname in Europa.

    Abseits geht es auf der Insel der Druiden gemächlich zu. Bei etwas Wind und ganz ohne Regen lasse ich den Tag am Leuchtturm von Point Lynas ausklingen. Er gehört zu den nördlichsten Leuchttürmen von Wales. Zu Queen Victorias Zeiten war es üblich das Licht nicht in den Turm sondern ins Erdgeschoss zu bauen. Das Wärterhaus selbst gleicht einer Festung. Immerhin weht hier ziemlich oft eine Steife Brise. Die Zeit in Wales ist knapp bemessen und ein Highlight jagt das Nächste. Tief durch die Nacht fahre ich zurück auf das Festland. Es wird Zeit dass ich mir einen Rundblick über das Ausmaß des Kaninchenbaus verschaffe.
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