In Sachsen daheim, in der Welt zu Hause. So bin ich neugierig und aufgeschlossen Jahr für Jahr unterwegs interessante Menschen kennen zu lernen, Orte zu entdecken und Spaß am Reisen zu haben. Read more Sachsen, Deutschland
  • Das soll kesseln

    January 28 in Germany ⋅ ☀️ 7 °C

    Das soll Kesseln!

    Ich bin zurück auf winterlichen Pfaden durch die Ammergauer Alpen. An diesem Ort war ich schon einmal. Das letzte Mal hat das dazu geführt mit einem guten Freund mit den öffentlichen Bussen auf Odyssee durch Bayern zurück zu unserem Ausgangspunkt zu kommen weil keiner von uns eine Taschenlampe dabei hatte. Der ursprüngliche Rückweg war dadurch sehr riskant und leichtsinnig. Es gibt doch tatsächlich auch hier in den Alpen noch Regionen in denen ich "viele" Leute getroffen habe wenn ich mehr als drei Finger zum Zählen brauche.
    Das war im Sommer. Heute konnte ich ihn nicht erneut dazu bewegen mitzukommen. Die Kenzenhütte hat Winterruhe, es gibt also weder Bier noch warmes Essen. Ein Bus fährt auch nicht. Viel eher würde der vor Blitzeis den Berg wieder runterrutschen. Dann sicher doch lieber zu Fuß auf einen Spaziergang. Und gerade weil die Region etwas abgelegen ist finde ich ein paar interessante Geschichten am Wegesrand die mir im Sommer womöglich gar nicht aufgefallen wären.
    Es dauert gar nicht lang da windet sich der Fluss Halblech durch eine tiefe Schlucht. Bis in die sechziger Jahre standen hier Steinmühlen. Durch die archäologische Besonderheit von bestimmtem bodennahen Gestein etablierte sich über Jahrhunderte die Europaweite Produktion für Wetzsteine hier im Ammergau. Und als wäre es selbstverständlich sagten sich noch bis vor kurzem Rothirsch und Braunbär Gute Nacht in dieser Schlucht. Davon zeugt heute der Bärengraben. Leider kommt der Name nicht von ungefähr als der königliche Jäger Ludwigs hier das letzte Mal einen Bären erlegte. Seitdem sind bald zweihundert Jahre vergangen. Geblieben ist aber nicht nur die Superlative von Schloss Neuschwanstein gleich nebenan sondern die Silhouette grandioser Bergsteiger- und Kletterfelsen rings um das zentrale Bergmassiv der Hochplatte.
    So ganz ohne fremde Hilfsmittel nehme ich mir vor dass heute ein Spaziergang viel mehr anstatt einer anstrengenden Bergtour ansteht. Ich kann ja die Ziele auch einmal niedrig halten - hoch hinaus geht es von ganz allein. Bald schon kann ich mich entscheiden weiter in der Schlucht zu wandern doch die aufgehende Morgensonne lockt auf einen Weg etwa zweihundert Meter oberhalb. Im Sonnenschein und schön gemütlich geht es noch einige Zeit dahin bis ich auf eine Hochalpe stoße. Der Wald aus dichtem Fichtenspargel öffnet sich und gibt vereinzelten knorrigen alten Laubbäumen auf der Alm Platz. Der Boden ist weiß überzuckert. Im Sonnenschein funkeln die Eiskristalle die sich auf den Ästen gebildet haben. Darüber thront die Hochplatte. Er hat eigentlich nur 2.000m und steht hier über dem Tal doch wie ein 5.000er in Peru. Ein bisschen Funkeln springt nun auch in meine Augen über. Ich weiß einmal mehr warum es sich lohnt Orte wie diese auch zu besuchen wenn andere schon längst das Handtuch geworfen hätten. Doch plötzlich ergibt sich ein ganz anderes Problem. Da hoch? - Mit der wenigen Minimalausrüstung die ich mir heute mitgenommen habe? Auch wieder zu riskant!
    Kurz unterhalb der Kenzenhütte beginnt der Schnee. Obwohl weit und breit kein Mensch hat die Bergwacht heute vorsichtshalber jemanden entsandt der hier Wache schiebt. Ein wenig beruhigt mich das. Aber soll ich da wirklich hoch? Mit ganz so stark vereisten Bedingungen hatte ich noch vor einer Woche nicht gerechnet. Ich laufe erstmal weiter und dann schauen wir mal. Im Schnee finde ich frische Tierspuren. Wo jetzt kein allzu strenger Frost ist beginnt eindeutig das Leben bereits nach dem Winter wieder aufzuwachen. Und am Ende der Sackgasse belohnt mich ein wunderschöner Wasserfall. Wieder ergeben sich Zweifel wenn ich so nach oben schaue. Soll ich nun wirklich noch weiter hoch hinaus, oder doch lieber nur links auf den Vorgipfel, oder rechts auf den? Ich will wenigsten hoch auf den Jochtalsattel. Von da kann man bis in das nächste Tal hinein sehen. Derweil steht die Sonne hoch am Winterhimmel. Es war einfach nur die richtige Entscheidung weiter zu gehen. Erst nach und nach schaue ich immer wieder auf die Karte wo ich in dieser Gegend denn alles noch nicht war? Weil der Schnee durch die Sonne sehr stark zu sulzen beginnt entschließe ich mich einer einsamen Skitouren-Spur zu folgen. Ringsum ist alles unberührt. So dauert es gar schon seine Zeit bis ich freudestrahlend auf dem Sattel stehe. Geht da vielleicht doch noch mehr? Ich meine, wenn ich schon mal hier bin! Hinter dem Bergkamm links von mir erstreckt sich laut Karte ein tiefer Gesteinskessel. So etwas ist von oben immer schön anzuschauen. Zu Beginn wäge ich noch ein wenig ab. Auf der freien Südseite am Hang sind bereits ein paar kleinere Lawinen abgegangen. Ob der Schnee mich trägt? Mit Schneeschuhen kann ich in dem steilen Gelände jedenfalls nichts ausrichten. Stattdessen kann ich wie in der vergangenen Woche auch einmal mehr üben wie es ist im Alter auf allen Vieren einen Berg hinauf zu krauchen. Und das alles nur für eine schöne Aussicht! Von der Sonne mittlerweile ordentlich ins Schwitzen geraten kämpfe ich mich steil den Berg hinauf. Ich bin so weit gekommen. Jetzt will ich auch wissen wie der Kessel ausschaut!
    Oben entdecke ich frische Gamsspuren. Die haben mich sicher die ganze Tour beobachtet! Dabei habe ich die Zeit ein wenig aus dem Auge verloren. Zum Glück habe ich heute aber eine Taschenlampe dabei. Am Ende bin ich zufrieden dass ich doch nicht den eigentlichen Gipfel erklommen habe. Von der Seite sieht er viel schöner aus. Und eigentlich wollte ich heute ja auch nur ein bisschen spazieren gehen. Ein bisschen...denn am Ende waren es glatt 30km.
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  • Day 13

    Die Schokoladenseite der Universität

    September 25, 2023 in England ⋅ ☁️ 20 °C

    Glücklicherweise haben wir fünf Minuten länger. Die Zeit in Christ Church hinkt der offiziellen Greenwich railway time um fünf Minuten hinterher. Diese ‚Cathedral time‘ entspricht der einst amtlichen Lokalzeit 1-1/4 Grad westlich von Greenwich. Endlich schließt sich der Kreis was im Film Realität und was aus dem Computer kommt.

    Zum verschnaufen oder gar einer Mittagspause bleibt mir keine Zeit. Die Bibliothek in der sie den neuen Streifen von dem Schokoladenmagnat Willy Wonka gedreht haben steht heute auch noch an. Für zehn Minuten schließen wir uns einer kleinen Führung im ältesten für Studenten zugänglichen Teil der Bodleian Library an. Dann müssen die zehn auserwählten Besucher schon wieder raus. Hinter den Kulissen steht hier jedoch ganz viel Geschichte zum forschen und lehren, nur nicht zum anfassen. Teils 400 Jahre alte Schriften. Jedes einzelne Alarmgesichert aber sonst bei offenem Fenster und ohne Schutzatmosphäre im Regal geparkt. Und das bei englischem Wetter…. Als Erklärung dafür dient der frühe Buchdruck in England. Anders als Pergamente die natürlich unter Verschluss gehalten werden sind gedruckte Bücher für die Luftfeuchtigkeit nicht anfällig. Damals wie heute nicht. Ein wichtiges Merkmal das sich jedoch geändert hat sind die Ketten. Die Bodleian Library begann einst mit 20 Pergamenten und erhielt für damalige Zeiten eine erste kostbare Spende über 300 weitere. Das war so viel wie kaum irgendwo anders in den Anfängen des Buches. Was kostbar war wurde am Buchrücken mit einer Kette gesichert. Doch weil es immer lärmte und raschelte wenn ein Student ein Buch recherchierte, und dafür sind sie nun einmal bis heute da, wurden die Ketten nach etlichen Protesten wieder abgeschafft. Heute muss man einen Antrag stellen, dann wird das Buch durch die halbe Bibliothek bis zum Lesesaal gebracht.

    Weiter geht es noch tiefer hinter die Kulissen der Bibliothek. Eine Ausstellung zeigt mir Bücher aus 400 Jahren die sich mit dem lateinischen Alphabet beschäftigen - und, diesmal dann doch hinter Glas eine 2000 Jahre alte Tora und ein 4000 Jahre altes Fragment des Sanskrit, in Stein gemeiselt. Durch das stete abkürzen durch irgendwelche Gänge denke ich durch die halbe Stadt zu laufen bin aber nicht mehr gewahr dass all die Teile der Bibliothek eigentlich eng beieinander stehen. So oft schon haben wir uns heute im Kreis gedreht und dieses Wunderland in Oxford für uns entdeckt.

    Zum Schluss komme ich sogar darauf zu sprechen dass ich den Ursprungsort von der Geschichte ‚Alice im Wunderland‘ in Wales besucht hatte. Mit Fragezeichen auf der Stirn schaut man mich an. Wie kann das sein? Der Autor Lewis Carroll hat doch hier in Oxford gelebt? Und der Wundergarten, und der Kater, der Hutmacher das sind alles historische Figuren hier aus Oxford! Wir lesen noch einmal nach und tatsächlich war die historische Alice in Llandudno immer zum Sommer im Seebad und Carroll hatte sich dort inspirieren lassen. Geschrieben hat er dann hier. Wie klein die Welt doch ist!

    Und wie schnell der Tag doch auch vergeht. Nun ist es schon wieder so spät dass wir die originalen Schauplätze von Alice im Wunderland auf ein anderes Mal vertagen müssen. Die Bordsteine in Oxford werden genau so pünktlich hochgeklappt wie in Wales. Nun heißt es endgültig für dieses Mal von England Abschied zu nehmen. Eine schöne Zeit und ein Schmelztiegel der Literaturgeschichte der weit über Shakespeare hinaus geht.
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  • Day 13

    Harry Potter und … Oxford

    September 25, 2023 in England ⋅ ☀️ 15 °C

    Als ich aufwache ist es schon hell aber die meisten Mitbewohner des Hauses schlafen noch. Ich mache einen Spaziergang durch den garten der jetzt im Herbst voll mit Weinreben hängt. Es ist der erste Garten. Heute sollen noch einige mehr folgen. Zugegeben ist die Erwartung ebenso groß die die Vorfreude. Oxford ist kaum für irgendetwas bekannter als für seine Universität. Und dann gibt es sie gleich zweimal! Weil die Studienplätze an den colleges der altehrwürdigen Oxford University nicht reichen und weil sich seit dem Brexit auch Europäer die Studiengebühren von 48.000£ im Jahr nur schwer stemmen können entwickelte sich draußen auf dem grünen Hügel parallel die Oxford Brookes University. Engländer zahlen die Hälfte. Mit einer Aufnahmequote von 14,6% aus mehr als 23.000 Bewerbungen pro Jahr zählt Oxford nach wie vor als selektivste Uni in England.

    Die Innenstadt von Oxford ist denn auch zweigeteilt. Eine wenig attraktive Shoppingstraße steht für das kommerzielle Oxford. Den weitaus größeren Teil nehmen die 38 Colleges ein. Äußerlich die schönen Fassaden, je nach College verziert mit Statuen und Wasserspeiern und ringsum natürlich die Höfe und Gärten mit feinstem englischen Rasen mit Rasenschnitt nach Strich. Wenn es tadellos geschnitten wurde und die Sonne darauf das rechte Licht wirft erkennt man nur schwer den Unterschied ob ein Bild echt ist oder aus dem Photoshop stammt. Innerlich die Fakultäten. Meist ist eine Fakultät in einem Kreuzgang angeordnet von dem durchnummeriert kleine knarrende Türen abgehen. Hier lernen die Studenten nicht nur, hier leben sie auch im Internat. Der Platz ist in den Colleges so eng dass eigentlich immer nur das erste Semester einen Wohnplatz bekommt und sich machher auswärts etwas suchen muss. Keine leichte Aufgabe. Als Angestellte der Universität teilt sich meine Gastgeberin eine 5er WG und zahlt dafür knapp 900£ im Monat. Für ein Zimmer! Oxford ist ein teures Pflaster.

    Zu den berühmtesten Köpfen des letzten Jahrhunderts zählen Leute wie Bill Clinton, Steven Hawkins, Margret Thatcher oder aber unser ehemaliger Bundespräsident Richard von Weizsäcker. Die bekanntesten Akteure in den letzten 20 Jahren zählen ebenso Harry Potter und Willy Wonka. Mittlerweile ist es später Vormittag und ich werde an etlichen Busladungen voll Besuchern vorbei geschleust. Dass sich im Kanal nebenan die Ruderer gerade auf eine Trainingseinheit warm machen bekommt kaum jemand mit. Alle wollen nur in die besonders schöne Mensa des Christchurch college. In den Harry Potter-Filmen war ihr Treppenaufgang die berühmte Schultreppe von Hogwarts und der Speisesaal selbst war der große Saal der vier Häuser in der Schule für Zauberei. Die Portraits an der Wand wirken beeindruckend. Ein wenig müssen wir uns jedoch sputen denn es ist gleich Mittag. Dann wird der Saal für die Öffentlichkeit geschlossen und die Studenten erhalten ihr Essen. Für gute Fortschritte in der Bildung werden schon mal jeden Tag die Teller und Gläser poliert.
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  • Day 12

    Brücken verbinden Welten

    September 24, 2023 in Wales ⋅ 🌬 19 °C

    Heute früh muss alles ganz schnell gehen. Eigentlich kann ich meinen Plänen heute nur hinterher hängen. Aber warum? Der Morgen startet im Valle Crucis. Eine einsame Gegend, damals wie heute. Genau deshalb siedelten hier die Zisterzienser und bauten eines ihrer üppigen Klöster. Bis nach England ist es nicht weit. Selbst die Römer waren hier im Norden von Wales. Davon berichtet eine interessante Inschrift unweit auf ‚Eliseg‘s Pillar‘. Eliseg - so die Inschrift - war Urgroßvater von Cyngen, dem keltischen Herscher von Powys und zugleich Nachfahre von Kaiser Magnus Maximus. Eine Brücke zwischen den Reichen sozusagen.

    Im Laufschritt geht es gleich zur nächsten Brücke. Sie ist im Vergleich relativ jung und heute technisches UNESCO-Welterbe. Dort wo der Union Canal aus England etwa 40 m über der Schlucht des River Dee kreuzt ist ein Spaziergang nur für äußert schwindelfreie empfehlenswert. Links und rechts des engen Kanals reihen sich die bunten Kanalboote. Es hat einen gewissen Nervenkitzel weil bereits 10cm über der Wasserkante das Geländer aufhört. Dass ich mir dennoch zutraue einen Spaziergang zu wagen liegt auch an der Windstille. Im Tal wabert mitunter noch der Nebel und von oben kündigt sich auch nur neuer Nieselregen an aber kein Unwetter.
    Für ein paar Angler ist es das perfekte Wetter um am Flussrand zu stehen und zu warten bis es zuckt. Oder gar bis ein Fisch die Angel hinter sich ins Wasser zieht. Solche Geschichten sind kein Seemannsgarn und ich höre sie ab und an wieder. Auch zu Hause in Deutschland.
    Nicht so groß aber ebenso beeindruckend ist die Planung des Kanals im Nachbartal über den Ceriog River. Über das Chirk-Aquädukt kreuzt der Kanal und verschwindet gleich dahinter in einem langen Tunnel mit Treidelpfad um die Eisenbahntrasse zu unterqueren. Aus Sicht der Ingenieure gibt es hier gleich zwei Besonderheiten. Der Aquädukt ist mit jeder Menge Hohlkammern gebaut und bei Weitem nicht so massiv wie der erste. Mit ausgefeilter Bautechnik ließ sich jede Menge Material einsparen und auch die Bauzeit verkürzen. Den Fluß trennt von jeher nur eine 8mm dicke Metallplatte vom tiefen Fall durch das löchrige Steingerüst. Außerdem trennt der Fluss an dieser Stelle England und Wales.

    Dann geht es hinaus aus Wales. Ein erster kleiner Abschied aber nicht das Ende dieser Entdeckungsreise. Nächster Halt, Oxford. Straße Hausnummer, alles da. Nur keine Klingel? Englische Häuser haben öfter einen Türklopfer, das weiß ich. Hmm, auch nicht! Ich klopfe fünf Minuten vehement an die Tür so dass ich Angst bekomme irgend ein Nachbar fühlt sich vielleicht gestört. Endlich öffnet sich die Tür und freudestrahlend lächelt mich meine Bekanntschaft aus Patagonien an. Sie möchte mir Oxford zeigen und wir wollen die Colleges der University of Oxford hinter den Kulissen kennen lernen. Es bleibt für den Nächsten Tag viel zu tun. Für heute ist es schon zu spät. Es ist Sonntag und in spätestens zwei Stunden werden pünktlich 17 Uhr die Bordsteine hochgeklappt.

    Wir wandern dennoch in das Umland von Oxford. Die Wiesen und Wälder zeigen mir dass es rings um Oxford extrem flach ist. Die Kühe grasen wieder anstatt der Schafe und trinken in der Themse. Wenn die das überall so machen ist es glaube ich kein Wunder warum die Themse in London dann nicht mehr ganz so sauber wirkt. Von seiner Berühmtheit hat er hier in jedem Fall noch nichts erlangt. Zum Abschluss geht es auf ein schales englisches Bier und zu Livemusik in den Pub. Das Bier schmeckt ganz gut. Im Vergleich zu den deutschen Bieren wird es aber stets gewöhnungsbedürftig bleiben.
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  • Day 11

    Mount Snowdon

    September 23, 2023 in Wales

    Als ich in der Nacht ankomme schläft alles schon tief und fest. Auf den umliegenden Pässen hier her sind mir immer wieder kleine Kolonnen parkender Autos aufgefallen. Ich habe sie aber nicht weiter beachtet. Stattdessen dauert es ein wenig bis ich zufrieden bin. Ich will nah an meinen Startpunkt der Wanderung um zeitig aufzusteigen. Und ich erwarte dass es am Morgen nicht mehr so ruhig zugeht. Die ganze Region wird, ziemlich einfallslos, Snowdonia genannt. Weite Hügel, Berge und Täler die allesamt vom Mount Snowdon wie ein Dom überragt werden.

    Auf der Karte ist es ein ziemliches Niemandsland. Ich habe die Erfahrung aber nicht das beste Equipment dabei. Eine Katzenwäsche im Fluss bringt die nötige Klarheit im Kopf dass es heute ziemlich Wolkenverhangen bleibt. Die Sonne versucht einmal ihre Morgenstrahlen durchzukämpfen. Dann wird sie nie wieder gesehen. Am Anfang denke ich mir den Weg noch gut zu erkennen. Ein Trampelpfad führt mich geradewegs in das Gebirge bis ein Hundegänger mir sagt ich solle lieber den Feldweg links nehmen der deutlich länger ist aber weniger sumpfig. Der Regen der letzten Tage hat scheinbar einige Tücken auf den Wegen mit eingebaut. Ich vertraue immer noch darauf zeitig oben zu sein und vielleicht über den Wolken zu stehen. So recht passt mir der Umweg nicht.
    Der Spaziergänger erzählt mir dass er gestern schon einmal oben war. Wer bitte geht denn zwei Tage hintereinander auf den gleichen Berg? Auf halber Höhe hätten ihn die Wolken vollends eingehüllt. Er sei aus Sicherheit lieber umgekehrt. Das finde ich vernünftig.
    Der ganze Weg ist jetzt mit Schiefer gepflastert und nicht mehr zu verfehlen. Ein paar Schafe zur Landschaftspflege gibt es auch noch. Früher waren es aber wohl deutlich mehr denn ich entdecke Reste einer Häusersiedlung und alte Schiefertagebaue. Das muss man sich mal überlegen! Hier führt keine Straße her. Doch weil der Schiefer so wertvoll war hatte es sich sogar gelohnt ihn per Hand zu schlagen und mit dem Esel einzeln bis ins Tal zu transportieren. Das nimmt einige Zeit in Anspruch. Zumal hier an den Hängen nichts wächst um sich selbst zu versorgen. Alles musste hergeschafft werden.

    Alle hundert Meter wenn ich hier und da jemanden treffe ist das Wetter Gesprächsthema. Im Schnitt ist der Berg 90% des Tages im Nebel was sich heute leider bestätigt. Auf der Karte befinde ich mich kurz neben dem Gipfel. Rechts neben mir ragt jedoch noch ein steiler Dom in die Wolken auf. Eine Gruppe junger Engländer stöhnt über jeden Schritt den sie machen müssen während es mir leicht fällt wenn ich regelmäßig kleinere Pausen einlege. Drei bis vier Stunden hatte ich für den Aufstieg geplant. Jetzt sind erst zwei um und ich bin schon fast oben. Die Jungs wirken etwas orientierungslos im Nebel und ich gehe ihnen voran. Prompt kommt die Frage: Kennst du dich hier aus? Warst du schon einmal hier? Nein - entgegne ich - aber das unbekannte zu entdecken ist mein zweiter Vorname.

    Der Dom ist steil und bestimmt haben wir den Hauptweg längst schon verlassen. Oben angekommen begrüßen uns erst einmal die Schafe nach dem Motto - Huch, wo kommt ihr denn her? Leider soll es mit der Aussicht nicht sein. Dafür muss ich doch im Hochsommer oder bei Minusgraden noch einmal herkommen. Es ist und bleibt der höchste Gipfel von Wales. Die Welt hier oben auf gerade einmal 1085m ist dennoch extrem. Bei der Bergrettung ist der Snowdon bekannt als „probably the busiest Mountain in Britain“. Ob seiner tückischen Wetterbedingungen ist der Berg eine echte Herausforderung für Alpinisten. Sogar Sir Edmund Hillary, der später den Mount Everest bezwang, übte für die Himalaya Expedition in Schnee und Eis genau hier.

    Erst zwei Stunden bereits wieder im Abstieg zeigt sich der Gipfel in seiner vollen Pracht - für ungefaehr eine Minute. Ich darf mich also glücklich schätzen dabei gewesen zu sein, wenn auch zu diesem Moment nicht auf dem Gipfel. Gestärkt mit Cafe und Kuchen geht es im Tal weiter zum Plas Brodanw Haus. Ich gerate dort mitten in den Nachmittagstee. Dabei ist es doch noch viel zu früh für Tee? Von einem freundlichen Herren erfahre ich dass heute eine Ausstellungseröffnung stattfindet. Ich bin nach kurzem Plausch gern eingeladen, auch wenn ich am Tee nicht teilnehmen kann weil nur nach Voranmeldung. Zur eigentlichen Eröffnung in circa einer halben Stunde gibt es einen Weinempfang. Hmmm, Tee, Wein…? Ok ich warte. Ausgestellt werden ein paar wenige Keramikarbeiten die erst vor gut einer Woche hier im Herrenhaus selbst entworfen und hergestellt wurden. Mit dem Ziel die Keramikaustellung in das Haus und sein Flair zu integrieren anstatt nur Räume zu füllen. Nun, hätte die Künstlerin das nicht dazu erzählt hätte ich mich in einem fast leeren Raum wiedergefunden der zwar einen herrlichen Ausblick auf den englischen Garten und Mt Snowdon bietet. Dann wäre ich aber auch gleich wieder gegangen.

    Der Hausherr war ein gewisser Sir Clough Williams-Ellis der sich nicht nur als famoser Gartengestalter gegenüber dem Snowdon-Massiv zeigt. Als kreativer Architekt brachte er ein klassisch-mediterranes Flair nach Portmeirion. Die künstliche Stadt wirkt nicht nur wie eine Filmkulisse, sie war es in den 60er Jahren auch. Williams-Ellis baute sich hier sein Traumdorf als er in den zwanziger Jahren von zahlreichen viktorianischen Sammlern von exotischen Pflanzen inspiriert wurde. Nur dass er lieber Häuser sammelte. Ein gnroßer angrenzender Garten wie in Plas Brodanw fehlt natürlich genauso wenig und bietet am Abend einen schönen Spaziergang über den goldenen Strand der Tremadog Bay.
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  • Day 10

    Alice Liddell und der Hutmacher

    September 22, 2023 in Wales

    Ob ihr es glaubt oder nicht, auch die Farbe Grau kann beeindruckend sein. Ein Großfeuer in Hamburg zerstörte 1842 zahlreiche Dächer. Das war jene Zeit als die Schieferproduktion in Nordwales bereits in vollen Zügen lief und jetzt so richtig lukrativ wurde. Man hatte mich bereits vorgewarnt. Wenn in Llechwedd die Sonne scheint wirst du vom Schiefer fast geblendet, in so vielen Farben kann er leuchten. Stattdessen geht er heute grau in grau in den Himmel über. Der Qualitätsschiefer wird unter Tage gewonnen. Selbst in den besonders guten Gesteinsadern fallen jedoch auf ein Kilo Schieferplatten 9 Kilo Abraum an. Die Halden türmen sich daher bis an die Vorgärten der Arbeiterhäuser. Und sie wachsen heute noch. Die Stadt aus Schiefer und die umliegenden Halden sind auch bei Regen einen Spaziergang wert. Zumal auch die Geschichte hier herein spielt denn im Mittelalter waren die Pässe in der Umgebung wichtige Zollschranken zwischen den Herrschaftsbereichen. Es wimmelt als auch nur so an Burgruinen. Auf den nicht mehr aktiven Teilen der Mine tummeln sich Zip-liner, Downhill Mountainbiker und sogar Trampolinspringer. Der Begriff Schotter zu Gold zu machen wird heute immer weiter entwickelt. Dabei braucht die Welt auch heute noch Unmengen des guten Schiefer. An Schicht im Schacht wie bei der Kohle ist hier noch lange nicht zu denken. Doch die Berge geben ihre Gipfel heute nicht mehr preis.

    Dann geht es eben weiter an die Küste. Warum braucht es schon Berge?
    Klimaschützer weisen ja stetig darauf hin welche Folgen ein Versiegen des Golfstromes haben kann. Die Walisen sind scheinbar einen Schritt voraus. Auf Meereshöhe haben sie ein Ski Zentrum gebaut. Besser man hat vorgesorgt. Dann müsste man nicht mehr in die Berge wenn Schnee liegt… Die Klippen rings um Llandudno sind steil genug und vielleicht liegt in der Strandpromenade tatsächlich ab und an Schnee. Um die Unter- und die Oberstadt zu verbinden gibt es sogar eine Straßenseilbahn. Von oben flaniere ich über gepflegten Golfrasen bis an die Küstenklippe. Unten tummeln sich die Leute auf der Seebrücke. Auch rundherum, der Rummel, die Puppenspielerbühne, die Hausfassaden - alles hier steht für den Inbegriff eines viktorianischen Seebades. Ohne Vorahnung stoße ich auf ein schönes Detail. Alice war hier! Das lebende Vorbild von ‚Alice im Wunderland‘ verbrachte ab 1861 regelmäßig ihre Sommerferien in dem Seebad. Wer will begibt sich hier auf eine wundersame Reise durch das Kartenhaus und findet jede Menge geschnitzte Figuren aus dem Roman am Straßenrand. Das macht neugierig auf mehr Kuriositäten.

    Auch wenn ich der Burgen und mittelalterlichen Städte langsam überdrüssig werde geht es gleich nebenan nach Cowny. Auf der Zugstrecke von London nach Holyhead bewiesen die viktorianischen Konstrukteure reichlich Eleganz und Sinn für historische Bausubstanz. Als wäre es ein Anbau vom Castle fungiert die anliegende Eisenbahnbrücke als echte Zugbrücke um den Kanal und den Yachthafen zu verbinden. Ein bisschen weiter entlang der Zugstrecke folgt der nächste Zungenbrecher. Wer steigt schon gerne in dem Ort „Die heilige Marie am Teich der weißen Hasel neben der Stromschnelle und der Kirche St Tysilio bei der roten Höhle“ aus. Na wenn dieser Name nicht ganz tief aus dem Kaninchenbau stammt weiß ich auch nicht. Heute ist der Ort Anlaufpunkt für Reisebusse aus ganz Europa. Verbirgt sich doch hinter dem Ortsnamen, kurz „Llanfair P.G.“ der wohl längste Ortsname in Europa.

    Abseits geht es auf der Insel der Druiden gemächlich zu. Bei etwas Wind und ganz ohne Regen lasse ich den Tag am Leuchtturm von Point Lynas ausklingen. Er gehört zu den nördlichsten Leuchttürmen von Wales. Zu Queen Victorias Zeiten war es üblich das Licht nicht in den Turm sondern ins Erdgeschoss zu bauen. Das Wärterhaus selbst gleicht einer Festung. Immerhin weht hier ziemlich oft eine Steife Brise. Die Zeit in Wales ist knapp bemessen und ein Highlight jagt das Nächste. Tief durch die Nacht fahre ich zurück auf das Festland. Es wird Zeit dass ich mir einen Rundblick über das Ausmaß des Kaninchenbaus verschaffe.
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  • Day 9

    Hochwasser unterm Sternenzelt

    September 21, 2023 in Wales ⋅ ☁️ 13 °C

    Nun sitze ich also hier auf einer Passhöhe und beobachte den Sternenhimmel. Während es den ganzen Tag wie aus Gießkannen regnete hat jetzt der Himmel aufgeklart. Es ist kalt im Hochland. Die Wiesen sind nass, die Bäche sind angeschwollen und immer wieder kreuzen Schafe den Weg weil es da trockener ist als im „Sumpf“. Bis zur nächsten großen Ortschaft sind es vielleicht nur 20km. In das breite Elan Valley kommt jedoch kein Licht über die Bergketten herüber weshalb die Landschaft hier zum Dark Sky reserve erklärt wurde.

    Warum ist das wichtig? Ein dunkler Nachthimmel ist nicht nur für den Sternenhimmel relevant, sondern auch für unsere Tier und Pflanzenwelt. Nur wenn es für bestimmte Pflanzen dunkel genug ist produzieren sie Nektar und können von Insekten bestäubt werden. Nachtjäger wie Eulen können mit unseren Strassenlaternen ebenso wenig anfangen.

    Am nächsten Morgen hat es sich bereits wieder zugezogen. Dafür höre ich unweit ein dumpfes rauschen. Dem will ich nachgehen und verlasse mein Nachtlager recht früh in der Morgendämmerung. Kurz darauf wird die Straße noch enger. Hier passt gerade mal ein Auto durch wenn es die Spiegel einklappt. Links und rechts ragen hohe Steinmauern auf. Ein Turm, dahinter ein See. Und während der Tag immer weiter anbricht ahne ich auch wo das rauschen herkommt. Ich muss mich nur überwinden auf der anderen Seite über die Mauer zu schauen. Dort stürzen sich tausende Liter in der Sekunde einen Staudamm hinunter. Und ich obendrauf. Der Regen hat im Tal für reichlich Hochwasser gesorgt. Die Stauseen wurden bereits zu Zeiten Queen Victorias angelegt. Die Ingenieure gaben sich alle Mühe diese Meisterleistung so schön wie irgend möglich in die Natur einfließen zu lassen. Während hier Trinkwasser für das englische Birmingham gewonnen wird. Erzeugen die drei Staudämme heute auch Strom. Die Schafe ringsum sind sozusagen für die Landschaftspflege zuständig.

    Auf dem Weg aus dem Elan Valley heraus fahre ich durch Llandrindod Wells. Zu den Tagen Queen Victorias war es einer der exklusivsten Kurorte. Für die feine Gesellschaft mit Ballhaus, hübschen Backsteinvillen und mit viel Platz für den schon damals leidenschaftlich betriebenen Volkssport. Das Fahrradfahren. Ob Ein, Zwei, oder Dreisitzer, Dreirad, Damenrad oder Triple Tandem. Hier ist alles gefahren was sich damals konstruieren lies. Der Hausmeister lässt mich nur durchs Schaufenster blicken. Denn eigentlich hat die Ausstellung im nationalen Radfahrmuseum in der Nebensaison geschlossen. Schade und zugleich ein Grund hierher wieder zu kommen.

    Auf dem Weg quer durch Wales geht es weiter gen Norden. Die Zahl an Fachwerkhäusern nimmt merklich zu während die Wegweiser immer spartanischer werden und immer stärker zu verwittern scheinen. Ich fahre dem Sonnenuntergang entgegen und denke bei mir „Das Spektakel kann ich jetzt nicht einfach so hinnehmen als wäre es ein Sonnenuntergang wie jeder andere. Nach so vielen Passstraßen will ich heute wenigstens noch einen Gipfel besteigen!“ Der Bryn-Y-Fan ist kein besonders schwerer Gipfel. Also laufe ich beschwingt los und mit jedem Meter an Höhe blicke ich weiter über das lang gezogene Tal. Mit jedem Schaf das ich am Wegesrand hinter mir lasse taucht die Abendsonne die umliegenden Berge in ein stärker und stärker goldenes Licht. Ich genieße die Ruhe und die gewisse Verbundenheit mit dem Berg als ich oben am Vermessungsstein stehe. Wer weiß welche Farben morgen den Tag prägen werden.
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  • Day 8

    Der Zauber vom grünen Tal

    September 20, 2023 in Wales

    Erneut starte ich in einen verregneten Morgen. Mittlerweile gibt es eine eingespielte Routine zwischen Katzenwäsche, Frühstück zubereiten und Nachtlager räumen wann immer der Regen kurz aufhört. Die Pfützen auf den Straßen haben sich zu einem einzigen See zusammen geschlossen. Englische Straßen habe stets die Eigenschaft dass sie selbst der Kanal sind und nicht ablaufen. Nunja. Damit ist eigentlich schon vorbestimmt dass ich bereits bei der ersten Aktion des Tages wieder nasse Füße bekomme. Aber was tue ich nicht alles wenn ich neugierig bin und der ein oder andere Ort sowieso auf der Route liegt. Der Weg führt über einen sehr selten benutzten Feldweg zu einem Shell house. Wahrscheinlich haben die Gutsbesitzer von früher viele tausend Muscheln geschliffen und das Innere ihres Gartenhauses an allen Wänden mit riesigen Intarsien geschmückt. Leider hat es zu und ich kann es durch die dreckigen Fenster nur erahnen. Trotzdem ist es ein schönes und vor allem unerwartetes Kleinod inmitten der Felder am river Teifi östlich von Cardigan.

    Entlang dem Fluss zieht sich ein grünes Band einst mit Wasserkraft betriebener Wollmuehlen. Neben der Käseherstellung sind sie das walisische Rückgrat. Bis heute. Die Schafwolle wird zu Tuch oder Flanell verarbeitet und immer noch in alle Welt verkauft. Der Käse nicht. Den gibt es nur auf einer echten walisischen Farm. Zugegeben begrüßen mich nach dem Regen vom Morgen nicht die Schafe sondern eine ganze Herde neugieriger Kühe auf der Straße. Während es draußen einmal mehr schüttet informiere ich mich von der Milch bis zum Käse. Besonders stolz ist man auf der Farm nicht nur auf die unzähligen Medaillen sondern dass man der Queen bisher immer zu einem Besuch auf Caws Cenarth einen Präsentkorb überreichen durfte. Die Dankschreiben des Buckingham Palace zieren eine ganze Wand. Dagegen erscheinen die Einblicke in die gläserne Käserei mit der Arbeit der Käsemeister fast als ein langweiliges Tagesgeschäft.

    Der Tag entwickelt sich zu einem Museumstag. Wenn ich es am aller wenigsten erwarte trifft mich der Zufall einmal mehr mit voller Härte. Die Welt ist klein, das wusste ich ja bereits vorher. Dass ich aber gerade hier im grünen Tal, also einer der am wenigsten touristischen Regionen von Wales ‚Keechy’ aus der Antarktis wieder treffe hatte ich nicht erwartet! Sie war auf unserem Expeditionsschiff eine der Expeditionsleiter und beschäftigt sich als Doktorandin mit arktischen Ökosystemen von Grönland bis in die Antarktis. Eigentlich stammt sie aus Holland, lebt und arbeitet jedoch in Wales wenn sie nicht gerade auf Reisen ist und erkundet gefühlt jedes Wochenende einen anderen Nationalpark in Großbritannien. Was für eine Überraschung! Prompt fragt sie mich: „Was tust du denn hier?“ - ‚Wie bitte? Naja - es regnet draußen, ich will mich aufwärmen, also bin ich ins Museum gegangen.‘ - „Nein, was tust du genau hier!? Wales hat so viel mehr populäre Orte zu bieten als ein Museum über Schafwolle. Erst treffen wir uns an dem einen extremen Ende der Welt und nun am anderen.“ Keechy ist genau so ungläubig wie ich. Die Freude ist indessen groß. Jetzt versuch aber mal einer dass was zwischen den vier Monaten von der Antarktis bis nach Lima alles in Lateinamerika geschah in eine halbe Stunde zu packen!

    Nach dem Treffen fühle komme ich den ganzen Tag nicht wieder aus dem Grinsen heraus. Die Welt ist klein und voller Überraschungen! Zu meinem nächsten Ort wähle ich aus dem Bauch heraus nicht die direkte Route sondern will so fahren dass die Abendsonne mir von hinten eine Bergkulisse vor mir anleuchtet. Jetzt wo die Sonne sich immer mehr zeigt finde ich das nen tollen Plan. Bei einem Zwischenstopp in (Marys garden ?..?) zerteilen die Sonnenstrahlen den Dunstschleier der sich gerade über den Wald legen will. Überall glitzert der Tau vom Regen noch an den Ästen und Farnen. Ich kann mein Glück immer noch kaum fassen. Wer mich heute sieht der könnte meinen dass ich verzaubert sei. Leicht beschwingt und froehlich, mir steht immer noch das Laecheln von unserem Treffen auf dem Gesicht, geht es in die Cumbrian Mountains immer weiter den Berg hinauf. Und zwar, ob ich davon zuvor bereits gehört hatte aber natuerlich vor lauter Eindrücken bisher leider völlig verdrängt, mitten in das Dark Sky Reserve von Wales.

    Wie koennte das besser passen, wo heute Nacht die Sterne auf mich schauen und bei so vielen Eindrücken über mich wachen während morgen die Tag- und Nachtgleiche ansteht.
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  • Day 7

    Die blauen Steine

    September 19, 2023 in Wales ⋅ 🌬 18 °C

    Regen prasselt auf das Dach und weckt mich. Es ist gerade einmal halb fünf. Die erste Woche war zu schön um wahr zu sein. Jetzt hat mich das englische Wetter endgültig heimgesucht. Von Südwest kam über Nacht ein Sturm auf und faucht durch alle Ritzen und Bäume. Das ist die einzige Richtung zum offenen Atlantik. Überall sonst im Westen und Norden liegt dann Irland vorgelagert. Jedoch hier in Pembroke erwischt es mich mit voller Härte. Der Verkehrsbericht im Radio verkündet dass sogar die Autofähren für heute ihren Betrieb einstellen. Der Wind soll über den Tag noch anschwellen.

    Das Ale von gestern war sein Geld doch nicht wert. Aber es gibt Dinge die weiß ich erst dass man sie lassen sollte wenn ich mitten drin stecke und es schon zu spät ist wie es so schön heißt. Der Lehre nicht genug steuere ich als Erstes Garn Fawr an. Der Regen prasselt wagerecht in mein Gesicht und beißt auf der Haut wie das sonst nur Eiskristalle vermögen. Die See sieht jetzt nicht mehr ruhig, aber auch nicht sooo bedrohlich aus. Vielleicht bringt das die Distanz auf 200m Höhe mit sich. Der Leuchtturm nebenan versinkt jedenfalls bald im Regendunst und hat heute alle Hände voll zu tun, auch tagsüber. Und ich kann einmal erfahren wie es ist wenn man mit schlechtem Schuhwerk nur mal spazieren gehen will während der Wind mich regelrecht von den Beinen holt.

    An solchen Tagen gibt es zwei kritische Punkte. Den wenn ich schon in der ersten Stunde baden gehe und weiß dass es ziemlich schwer wird den Rest des Tages trocken zu überstehen. Und als Zweites, was kann man an verregneten Tagen in Wales eigentlich noch alles unternehmen außer Castles anschauen oder einem Museum gehen?

    Meine Recherche bringt mich nach Gors Fawr. Ich bin jetzt ohnehin schon nass, dann kann ich auch weiter draußen bleiben. Hauptsache warm! Oder zumindest raus aus dem eisigen Wind entlang der Küstenlinie. Und es ist ja erst Mitte September. Also noch recht annehmlich. Ein kurzer Weg führt zu einem Steinkreis. Davon gibt es hier unzählige. Doch irgendwie wollen vier Steine nicht in das restliche Muster passen. Bestimmt stand irgendwo in der Nähe noch ein Megalith und gab dem ganzen eine Bedeutung. So fehlt sie auf den ersten Blick und hätte ich mich nicht belesen auch auf den zweiten darüber hinaus. Ich stehe in mitten einem weitläufigen Tal. Die umliegenden Hügel der Preseli Mountains schirmen den Wind etwas ab und die Zeit brachte vor tausenden Jahren blauen Dolorit zu Tage. Das ist jener Stein den die Kelten von genau hier bis hin nach Stonehenge verbrachten. 217km nach Osten! Und in dem Moment ist der Landweg einleuchtender als über die See denn keiner der Orte, weder Stonehenge noch der Steinbruch liegen in der Nähe schiffbarer Flüsse. Diese Leistung bei Wind und Wetter ist für mich genau so viel wert wie das Errichten der Steine selbst.

    Solche Schwerstarbeit soll ja am leichtesten mit etwas Musik von der Hand gehen. Aber wehe einer singt schief! Nun wissen wir derart nichts aus der Steinzeit. Wir wissen heute aber dass in der nächstgelegenen Stadt Cardigan bereits seit dem 12Jh ein Barden- und Sängerwettstreit stattfindet. Ursprünglich zur Versöhnung benachbarter Herrenhäuser. Kultur hat auch damals bereits Berge versetzt und Brücken gebaut. Dann kam das finstere Mittelalter auch über England. Bereits im 18. Jahrhundert wurde der Wettstreit wieder aufgelebt und seither alljährlich ausgetragen. Der Gewinner erhält seit 800 Jahren, kurios wie England nun einmal ist, einen Stuhl.
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  • Day 6

    Willkommen bei den Tudors

    September 18, 2023 in Wales ⋅ 🌬 16 °C

    Das Land ist voll von Dichtern und Schreibern. Der wohl berühmteste war Dylan Thomas - jedoch habe ich noch nie von ihm gehört. Aber immerhin hat sich ihm zu Ehren ein Gewisser Robert Allen Zimmermann den Künstlernamen Bob Dylan gegeben. Seine Geburtsstadt Swansea war nun nicht der Renner, und sein letzter Wirkort Laugharne? Ein Ort der kurzen Wege zwischen dem Meer, der Dichterstube in einem Fahrradschuppen und dem örtlichen Pub. Thomas war wie so viele Schreiber dem Alkohol verfallen und zum Ende hoch verschuldet trotz dass er am Stammtisch die allerbesten Inspirationen für seine Werke erhielt und trotz dass er vor allem in den USA bis heute hoch verehrt wird. Gut dass ich das hier für uns alle aus Spaß und Freude schreibe und nicht zum Geld verdienen ;)

    Der Platzregen verhagelt mir die weitere Erkundung. Das Gute jedoch, wenn es hier regnet scheint gleich nebenan die Sonne. In Pembrokeshire liegt eine der schönsten Steilküsten Britanniens. Der grüne Golfrasen schmiegt sich bis an die Klippen und wird von Sturm zu Sturm vom Meer verschluckt. Wo die Küstenerosion knabbert nisten in den Höhlen seltene Seevögel wie Alpenkrähen und Dreizehenmöven. Die Sonne malt ihre Farben dabei über den Regenbogen. Die ganze Landschaft kann getrost als filmreife Kulisse für das Fernsehen herhalten. Bestimmt sind heute auch etliche Smartphonekameras im Einsatz. Zwischendrin sogar ein paar professionelle. Denn gleich hinter der Küste erstrecken sich die künstlich angelegten Bosherston Lakes landeinwärts. Es scheint als wären sie schon ewig mit der Landschaft verwoben und sind doch keine 150 Jahre alt. Ich treffe auf einen Naturfotograf. Sein aufmerksames Auge beobachtet bereits seit längerem einen Fischotter als ich dazu stoße. Der Otter taucht planscht und spielt indes ungestört. Die senigsten Spaziergänger bekommen davon wieder etwas mit. Hier ist die Welt in Ordnung.

    Die Grafschaft von Pembroke ist nach ihrem wichtigsten Schloss benannt. Die Tudors hatten hier ihren Stammsitz als eines der einflussreichsten Geschlechter in der Geschichte Englands. Leider bietet die Stadt ringsum von diesem hohen Stand nur sehr wenig. Aber warum braucht es auch größeren Prunk als diese herrliche Natur ringsum? Bis zu einem großen Maß stehen die englischen Gärtner der chinesischen Landschaftsgestaltung in nichts nach. Stets fließt die Energie und die Harmonie steht noch im Mittelpunkt. Das zeigt sich heute besonders zu meiner zweiten Küstenwanderung rings um St David. Die kleinste Stadt, oder besser das größte Dorf mit Stadtrecht in Großbritannien.
    Dabei war das Dorf nie größer. Es hatte ob seiner Lage nur immer schon Gönner für eine Kathedrale und damit Stadtrecht. Während einem Sturm sei der heilige David an der Küste geboren. Daran erinnert heute deine schöne Kapelle auf der Steilklippe. Und jeder der vor der Küste durch die gefährlichen Gezeitenströme in Not gerät hat mit der hier ansässigen Küstenwache einen Schutzengel mehr vor Ort.

    Zum Ausklang des Tages geht es in den Pub. Das Bier hat Geschmack, aber es macht auch schnell müde. Der Pub ist derweil immer eine gute Adresse - zum Schreiben, zum Dart spielen, für das Dorfgespräch und nicht zu letzt als Zufluchtsort bei schlechtem Wetter. Draußen zieht ein Sturm auf!
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